Gerty’s London Subjects – Künstlerinnen im Britischen Exil

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Zwischen 1933 und 1945 wurden tausende Künstlerinnen ins Exil gezwungen, um sich vor den Gefahren des wachsenden Nationalsozialismus retten zu können. Bis heute hinterlässt dies deutliche Spuren in der Kulturgeschichte, so sind viele der damals bekannten kunstschaffenden Persönlichkeiten in Vergessenheit geraten. Auch Gerty Simon (1887-1970), eine deutsch-jüdische Porträtfotografin, die in den 1920er Jahren in Berlin lebte und arbeitete. 1933 emigrierte sie nach London, wo sie ihre Karriere weiterführen konnte. Silbergelatineabzüge ihres Werks sowie akribisch gesammelte Presseauschnitte, Einladungen und Visitenkarten fand die Wiener Holocaust Library im Jahr 2016 im Nachlass des britischen Geschäftsmannes Bernd Simon — dem Sohn Gerty Simons. Auf die von der Wiener Holocaust Library veranstaltete Ausstellung „Berlin/London: The Lost Photographs“ aus dem Jahr 2019 antwortet nun die Liebermann-Villa am Wannsee mit ihrer Sonderausstellung „Gerty Simon. Berlin / London. Eine Fotografin im Exil“.

Im Rahmen dieser Ausstellung ruft die Liebermann-Villa eine fünfteilige Blogreihe ins Leben, welche das Leben und Werk von fünf verschiedenen Künstlerinnen vorstellen möchte, die zu Zeiten des Nationalsozialismus aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Künstlerinnen widmeten sich in ihrer Arbeit verschiedenen Medien: Fotografie, Bildhauerei, Grafik und Keramik. Doch was sie verbindet ist, dass sie alle nach Großbritannien emigrierten, um dort ihre Karrieren weiterzuführen und sich ihre Freiheit über ein selbstbestimmtes, kreatives Leben bewahren zu können.

Los geht die Blogserie mit dem Text „Gerty’s London Subjects“, geschrieben von Barbara Warnock.

Gerty’s London Subjects

Gerty Simon kam im Herbst 1933 als Exilantin aus Berlin nach London. Nachdem sie Nazi-Deutschland verlassen hatte, sagte sie selbst später: „Ich befand mich als Jüdin in besonderer Gefahr, weil ich als Fotografin zahlreiche Aufnahmen von sozialdemokratischen und antifaschistischen Persönlichkeiten angefertigt und diese in der Öffentlichkeit ausgestellt hatte“.[1]

Gerty Simon, Lotte Lenya (1898-1985), London, ca. 1935, Sängerin und Schauspielerin, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

Vor ihrer Ankunft in London scheint Simon einige Vorbereitungen getroffen zu haben, um ihre Karriere schnell wieder aufbauen zu können: so reiste sie unter anderem mit Presseausschnitten über ihre früheren Ausstellungen und mit diversen Exempeln ihrer Arbeit im Gepäck. Rasch richtete sich ein Studio in London ein und veranstaltete bemerkenswerterweise innerhalb eines Jahres nach ihrer Ankunft ihre erste Ausstellung fotografischer Porträts in der Storran Gallery in Chelsea.[2] Zum einen scheint Simon es so schnell geschafft zu haben, Kunden zu gewinnen, weil ihr guter Ruf ihr vorausging, zum anderen waren aber auch ihre Verbindungen zu anderen Exilanten in London, sowie ihre eigenen Bemühungen um Eigenwerbung und Mundpropaganda für sie von Bedeutung.[3]

In London repräsentierten Simons Modelle einen bemerkenswerten Querschnitt führender Persönlichkeiten aus Großbritanniens künstlerischer, theatraler, politischer und sozialer Welt. Wie in Berlin fotografierte Simon hier mindestens ebenso viele Frauen wie Männer.

Gerty Simon, Frank Dobson (1886-1963), London, ca. 1934, Künstler und Bildhauer, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

In London fotografierte sie auch andere Exilanten aus Deutschland, zu denen sie teilweise auch persönliche Beziehungen hegte, wie beispielsweise den Galeristen Alfred Flechtheim — welcher ihre zweite Londoner Ausstellung kuratierte — und die Schauspielerin Lotte Lenya.

Einige von Simons eindrucksvollsten Porträts aus ihrer Zeit in London zeigen Künstler*innen: Maler, Bildhauer und Grafiker wie Paul Nash, Iain Macnab, Frank Dobson, Sir William Rothenstein, Freda Lady Forres und die Bühnenbildnerin Gladys Calthorp. Laut der Zeitung The Daily Sketch „…gefiel Gerty Simon es, Maler zu fotografieren, weil diese genau verstanden, was sie in Bezug auf Komposition, Beleuchtung und Pose von ihnen möchte.“[4]

Gerty Simon, Paul Nash (1889-1946), London, ca. 1934, Maler, Fotograf, Schriftsteller und Designer, Schlüsselfigur der Modernist Movement in England, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

Simon fotografierte des Weiteren die Royal Academy-Mitglieder Sir John Munnings und Sir John Lavery. Letzterer hielt die Eröffnungsrede ihrer zweiten Londoner Ausstellung Camera Portraits, die 1935 im Camera Club gezeigt wurde. Teil jener Ausstellung war auch ihre Fotografie des damaligen Direktors der National Gallery, Sir Kenneth Clark, der im Juni 1934 im Alter von nur 30 Jahren in seine Position berufen worden war.

Gerty Simon, Aneurin Bevan (1897-1960), London, ca. 1934, Politiker der Labour Party, u.a. Gesundheitsminister 1945-1951, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

Die Ausstellung Camera Portraits umfasste eine Reihe von Porträts von anderen Exilanten des Nationalsozialismus: darunter Flechtheim und Lenya, sowie der 1933 nach Großbritannien emigrierte Arzt Professor Ulrich Friedemann.[5] Kurt Battsek, ebenfalls deutsch-jüdischer Herkunft, hatte ebenfalls für längere Zeit in Großbritannien gelebt. Er war der Londoner Vertreter des Berliner Hilfsvereins der deutschen Juden und sehr aktiv im Central British Fund for German Jewry, der Spenden sammelte, um Geflüchtete aus dem Nationalsozialismus zu unterstützen.[6]

Gerty Simon, Constance Cummings (1910-2005), ca. 1934, Schauspielerin, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

Wie in Berlin fotografierte Simon auch in London Schauspieler*innen wie Peggy Ashcroft, Constance Cummings und Oriel Ross. Auch lichtete sie prominente Politiker*innen ab, darunter die Parlamentsabgeordneten Eheleute Aneurin Bevan und Jennie Lee. Lee wurde 1929 im Alter von 24 Jahren zur Labour-Abgeordneten von North Lanarkshire gewählt. Später spielte sie eine zentrale Rolle bei der Gründung der Open University. Aneurin Bevan, von 1929 bis 1960 Abgeordneter für Ebbe Vale, war von 1945 bis 1951 Gesundheitsminister und gilt als Gründer des National Health Service. Bevan setzte sich auch aktiv dafür ein, Geld zu sammeln, um deutsche Geflüchtete zu unterstützen.[7] Ähnlich taten es auch die Schauspielerin Constance Cummings und ihr Ehemann, der Labour-Abgeordnete Ben Levy. Das Paar nahm später zwei Kinder aus dem Kindertransportprogramm auf, welches jüdische Kinder schützte, die von Nazi-Deutschland bedroht wurden.[8]

Simon fotografierte während ihrer Zeit in London auch viele Mitglieder des Adels. Unter ihren Modellen war der konservative und unionistische Politiker Lord Balniel, sowie Lord Forres, Lord Sempill und Lady Allington. Aristokratische oder gesellschaftliche Frauen, Vertreterinnen der “Mode”, so T.W. Earp des Daily Telegraph, gehörten auch zu Simons Modellen, darunter Violet Kingcote, June de Trafford, Lady Katherine Rollo, Princess de Chimay, Veronica Fitzgerald, Nemone Balfour und Jennifer Fry.[9] Andere von Gerty Simon fotografierte Persönlichkeiten waren General Sir Hubert Gough, Kommandant der 5. Armee 1916-1918; Sheila Grant Duff, Journalistin und spätere Gegnerin der Bauernpolitik; Ökonom Sir George Paish; und die Flieger Eric Gordon England und Lord Sempill.

Gerty Simon, Lucy Moser, London, ca. 1935, © The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

Einzelne Fotografien stechen hervor: Das von Lucy Moser beweist Simons Fähigkeit, bereits etablierte Künstlerpersönlichkeiten auf tiefgründige Weise zu porträtieren, wie es sich beispielsweise auch in Simons Berlin-Fotografien von Max Liebermann und Käthe Kollwitz widerspiegelt. Die Balletttänzerin und Choreografin Alicia Markova und ein unbekanntes Modell, das als „Spanierin“ bezeichnet wird, fesseln die Betrachtenden mit einem direkten, kompromisslosen Blick.

In ihren Londoner Porträts hat Gerty Simon ein starkes und unverwechselbares Werk geschaffen, das eine Reihe führender Persönlichkeiten der britischen Gesellschaft, Politik und Kultur einfängt. Ihre Arbeit in London spiegelte weiterhin den ausdrucksstarken Stil wider, den sie in Berlin entwickelt hatte. Dass Simon nach der Flucht aus Berlin ihre Karriere so schnell wieder aufbauen konnte, macht ihre Porträts umso bemerkenswerter.


[1] Dokument, scheint mit Dezember 1951 datiert zu sein, The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

[2] Für mehr Informationen zu Simons Leben und Karriere siehe Barbara Warnock und John March, Berlin-London: The Lost Photographs of Gerty Simon (London, 2019).

[3] Ebd. S. 20

[4] „Artists as Sitters“, The Daily Sketch

[5] Mandred Stürtzbecher, ‘Friedemann, Ulrich’, in Neue Deutsche Biographie Band 5 (Hamburg, 1961), S. 446

[6] Naomi Shepherd, Wilfred Israel – German Jewrys Secret Ambassador (London, 1984), 91.

[7] Patricia Hollis, Jennie Lee – A Life (Oxford, 1997), 82.

[8] Freddy Costen, ‘Obituary Letter – Constance Cummings’, The Guardian, 30 November 2005.

[9] T.W. Earp, ‘New Art Exhibitions’, Daily Telegraph, 31 Oktober 1935.

Gerty Simon’s Subjects in London

In autumn 1933, Gerty Simon arrived in London as an exile from Berlin. She later wrote that she left Nazi Germany as “I found myself as a Jew in particular danger, because as a photographer, I had taken numerous photographs of Social Democratic and anti-fascist personalities and exhibited them in public.”[1] Simon appears to have come to London equipped to re-establish her career rapidly: she travelled with press clippings about her previous shows and examples of her work. She set up a studio in London, and, remarkably, within a year of her arrival, staged her first show of photographic portraits at the Storran Gallery in Chelsea.[2] Simon seems to have managed to obtain clients because her professional reputation preceded her, as well as through the exile circles to which she was connected in London, her own efforts at self-promotion, and word of mouth.[3]

In London, Simon’s subjects represented a remarkable cross section of leading figures in Britain’s interconnected artistic, theatrical, political and social worlds. As in Berlin, Simon photographed at least as many women as men, and, in London, she also photographed other exiles from Nazi Germany, some of whom she had personal connections with, such as gallerist Alfred Flechtheim, who curated her second London show, and the actress Lotte Lenya.

Some of Simon’s most striking portraits from her time in London are of artists – painters, sculptors and print-makers like Paul Nash, Iain Macnab, Frank Dobson, Sir William Rothenstein, Freda Lady Forres, and Gladys Calthorp, a set designer. According to the newspaper the Daily Sketch, Gerty Simon “likes ‘shooting’ painters because they understand exactly what she wants in the way of compositions, lighting and pose.”[4] Simon photographed Royal Academicians Sir Alfred Munnings and Sir John Lavery, who gave the opening speech at her second London exhibition, Camera Portraits, mounted at the Camera Club in 1935. This exhibition also featured her picture of the then-Director of the National Gallery, Sir Kenneth Clark, who had been appointed to his position in June 1934 aged just 30.

The Camera Portraits show included a number of portraits of fellow exiles from Nazism: Flechtheim and Lenya, as well as physician Professor Ulrich Friedemann, who had emigrated to Britain in 1933.[5] Kurt Battsek, also of German-Jewish origin, had been based in Britain for longer. He was the London representative of the Berlin-based Hilfsverein der deutschen Juden, and very active in the Central British Fund for German Jewry, which raised funds to support refugees from Nazism.[6]

As in Berlin, Simon photographed actors, such as Peggy Ashcroft, Constance Cummings and Oriel Ross, as well as politicians. Simon portrayed Conservative MP Sir Philip Dawson and also Labour politicians Aneurin Bevan and Jennie Lee, captured in a lively pair of portraits in 1934. Lee was elected Labour MP for North Lanarkshire in 1929, aged 24, before women her age even had the vote. She later established the Open University. Bevan, MP for Ebbw Vale from 1929-1960, founded the National Health Service. Aneurin Bevan also campaigned actively to raise money to support German refugees: Constance Cummings and her husband Labour MP Benn Levy later took in two children from the Kindertransport scheme to rescue Jewish children threated by Nazi Germany.

Simon also photographed many members of the aristocracy during her time in London, including the Conservative and Unionist politician Lord Balniel, Lord Forres and Lady Allington. Aristocratic or socialite women, representatives of “fashion” according to The Daily Telegraph’s T.W. Earp,[7] were also amongst Simon’s subjects, including Violet Kingcote, June de Trafford, Lady Katherine Rollo, Princess de Chimay, Veronica Fitzgerald, Nemone Balfour and Jennifer Fry. Other notables captured by Gerty Simon included General Sir Hubert Gough, Commander of the Fifth Army 1916-1918; Shiela Grant Duff, journalist and later opponent of the policy of appeasement; economist Sir George Paish; and the aviators Eric Gordon England and Lord Sempill.

Individual pictures stand out: that of Lucy Moser for example shows the same ability to make profound portraits of older subjects as had also been reflected in Simon’s Berlin photographs of Max Liebermann and Käthe Kollwitz. Ballet dancer and choreographer Alicia Markova and an unknown subject labelled as ‘Spaniard’ both engage the viewer with a direct uncompromising look.

In her London portraits, Gerty Simon produced a strong and distinctive body of work, capturing a range of leading figures in British society, politics and culture. Her work in London continued to reflect the highly expressive style that she had developed in Berlin. That Simon managed to re-establish her career in this way so rapidly after the rupture of her departure from Berlin makes her portraits all the more remarkable.

All photographs © The Bernard Simon Estate, Wiener Holocaust Library Collections


[1] Document, appears to be dated December 1951, The Bernard Simon Collection, Wiener Holocaust Library Collections

[2] For more on Simon’s life and career see Barbara Warnock and John March, Berlin-London: The Lost Photographs of Gerty Simon (London, 2019).

[3] See ibid., 20

[4] ‘Artists as Sitters’, The Daily Sketch

[5] See Mandred Stürtzbecher, ‘Friedemann, Ulrich’, in Neue Deutsche Biographie Band 5 (Hamburg, 1961), 446.

[6] See Naomi Shepherd, Wilfred Israel – German Jewry’s Secret Ambassador (London, 1984), 91.

[7] T.W. Earp, ‘New Art Exhibitions’, The Daily Telegraph, 31 October 1935.