Eine Pionierausstellung im Louvre gegen die Antikenhehlerei

Ende September 2021 nahm unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Alice Cazzola an dem von der École du Louvre Paris angebotenen Sommerseminar im Fach Museologie „Fighting against illicit trafficking of cultural goods: an urgent challenge for heritage“ (Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern: eine dringende Herausforderung für das Weltkulturerbe) teil. Durch das abwechslungsreiche Programm und den bereichernden Austausch mit den Seminarkolleg*innen konnte sie ihr Blickfeld hinsichtlich der Provenienzforschung erweitern und neudenken.

Das Seminar mit Schwerpunkt auf archäologische Objekte bestand aus Vorträgen von internationalen Fachexpert*innen aus dem öffentlichen und privaten Bereich und aus Besuchen in Museen, die sich mit dieser komplexen Thematik auseinandersetzen. In diesem Blogbeitrag berichtet sie über ihren Ausstellungsbesuch im Louvre, das am Beispiel einiger gepfändeter archäologischer Fundstücke die wesentlichen Aspekte des Seminars darlegt.

Eine Pionierausstellung im Louvre gegen die Antikenhehlerei

– Alice Cazzola

Zum illegalen Handel mit Kulturgütern

Das archäologische Kulturgut ist zunehmend in Gefahr. Weltweit nehmen Raubgrabungen, Plünderungen, Zerstörungen und Diebstähle antiker Artefakte zu. Dadurch sind ihr Erhalt, ihre wissenschaftliche Erschließung und letztlich ihr Zugang bedroht.

Das globale Phänomen des illegalen Handels mit Kulturgütern verschärft sich besonders in Krisen- und Konfliktregionen, in denen nicht nur lukrative sondern auch ideologische Gründe den Verlust von Kulturgütern beeinflussen. Wir alle erinnern uns an die gewaltsamen Zerstörungen der Buddha-Statuen von Bamiyan (Afghanistan 2001), der Bibliothek von Timbuktu (Mali 2013) oder die der Tempelanlagen in Palmyra (Syrien 2015). Solche Verbrechen sowie der Erwerb illegal ausgeführter und eingeführter Kulturgüter sind mit dem Terrorismus und der organisierten Kriminalität eng verbunden. Durch Geldwäsche und Zuschreibung „sauberer“ Provenienzen[1] werden die Objekte oft über soziale Netzwerke angeboten und erbringen einen Millionenumsatz.

Die Ausstellung im Louvre-Museum

Seit der Wiedereröffnung des Louvre-Museums nach dem Lockdown im Mai 2021 zeigt die Abteilung für Griechische, Etruskische und römische Antike die Kabinettausstellung „Lutter contre le trafic illicit des biens culturels“ (Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern).[2] Das Thema wird am Beispiel von archäologischen Artefakten aus Libyen und Vorderasien veranschaulicht, die in den illegalen Antikenhandel gelangten und zwischen 2012 und 2016 vom französischen Zoll beschlagnahmt wurden (Abb.1).

Abb. 1: Ausstellungseingang, Foto: Vincent Michel

Auffällige Ausstellungsgestaltung für besondere Exponate

Die Kuratoren Ludovic Laugier und Vincent Michel haben ein alarmierendes Rot als Grundfarbe der Ausstellung gewählt. Großflächige weißbedruckte Banner hängen von den Wänden herab und laden die Besucher*innen in die Ausstellung ein. Vier Wände gliedern den quadratischen Raum. Eine Weltkarte mit den wichtigsten Schauplätzen und Routen des illegalen Handels mit antiken Artefakten aus dem Ostmittelmeer und ein Animationsvideo bieten einen Einstieg in die Thematik. Der Blick fällt jedoch primär auf die gegenüber platzierten vier Vitrinen mit weiblichen Büsten, die sich von einem großformatigen Luftbild absetzten (Abb.2).

Abb. 2: Innenansicht der Ausstellung mit Blick auf vier weiblichen Grabbüsten, 3. bis 1. Jh. v. Chr., Nekropole von Kyrene in Libyen (?), Foto: Vincent Michel

Das Foto stellt eine Ansicht, der von Plünderungen zum Opfer gefallen archäologische Grabungsstätte Kyrene dar, aus denen die Marmorskulpturen wohl stammen. Diese die Gottheit der Unterwelt und der Toten darstellenden Frauenbüsten waren zwischen dem 6. und dem 1. Jh. v. Chr. zur Verzierung von Felsfassadengräbern in der ostlybischen Region Kyrenaika sehr verbreitet.

Die im Louvre ausgestellten vier Marmorskulpturen aus dem 3. bis 1. Jh. v. Chr. tragen eine drapierte Tunika unter einem dicken mit Kaskadenfalten ausgestatteten Übermantel, der ebenfalls den Kopf bedeckt (zwei Köpfe sind nicht erhalten). Ihre Gestik evoziert Trauer und Kummer.

Seit den 1980er Jahren und vor allem nach dem Arabischen Frühling 2011 ist die Nekropole von Kyrene durch eine unkontrollierte Urbanisierung der naheliegenden Stadt gefährdet. Dies geht einher mit der Zunahme von Grabplünderungen, die von den derzeitigen politischen Unruhen im Land profitieren. Der Verlust von Kontext-Informationen über jene Funde ist für die Archäologie irreparabel. Die vier im Louvre ausgestellte Grabbüsten sind das Resultat solcher destruktiven Taten. Sie wurden im Jahr 2012 durch eine Spezialeinheit der französischen Polizei, das Office centrale de lutte contre le trafic de biens culturels (OCBC, Zentralbüro für den Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern) beschlagnahmt. Die vom Justizdepartement und dem Zoll mit Schnüren angebrachten Pfandsiegel dokumentieren den Vorfall (Abb. 3).

Abb. 3: Detailansicht der Pfandsiegel der Beschlagnahmung durch den französischen Zoll im Jahr 2012, Foto: Alice Cazzola

Zur Schau stehen außerdem zwei Flachreliefs mit christlich-byzantinischer Verzierung, die der französische Zoll 2016 als archäologisches Raubgut erkannte und ebenso beschlagnahmte (Abb.4). Die rechteckigen, identisch verzierten Marmorplatten hängen vor einer grauen Wand parallel nebeneinander. In der Mitte ist ein Kantharos, ein antikes Trinkgefäß, mit zwei Schlaufenhenkeln dargestellt, aus dem sechs Weinranken symmetrisch herauswachsen und die gesamte Bildfläche mit Trauben und Vögeln füllen. Über der Vasenöffnung erhebt sich ein Kreuz.

Abb. 4: Innenansicht der Ausstellung mit Blick auf zwei Marmorplatten mit christlich-byzantinischer Verzierung, Datierung und Provenienz unbekannt, Foto: Sebastien Tolosa Zoyo

Vermutlich gehörten diese Fragmente einst einem byzantinisch angelehnten Dekorensemble, dessen ursprünglicher Kontext, Datierung und Authentizität unbekannt sind – ein weiteres Beweisstück für die Folgen des illegalen Handels mit archäologischen Kulturgütern. Die im September 2016 am Flughafen von Roissy als „Ornamentsteine für die Gartenverzierung“ deklarierten Objekte waren aus dem Libanon angereist und für die Weiterreise nach Thailand bestimmt. Die sofortige Pfändung erfolgte aufgrund ihrer dubiosen Provenienz, einem Transitland potenzieller Plünderungen an der Grenze zu Kriegsgebieten. Auch in diesem Fall sind die zur Beschlagnahme angebrachten Pfandsiegel in der Ausstellung deutlich sichtbar (Abb. 5).

Abb. 5: Detailansicht der Pfandsiegel der Beschlagnahmung durch den französischen Zoll im Jahr 2016, Foto: Alice Cazzola

Seit 2016 ermöglicht das französische Kulturerbegesetz die Ausstellung beschlagnahmter Kulturgüter in einem Museum für die Dauer der Recherche der rechtsgültigen Besitzer*innen.[3] Am Beispiel dieser sechs gepfändeten Objekte möchte die Pionierausstellung im Louvre dazu beitragen das Bewusstsein für den Kampf gegen die Antikenhehlerei zu fördern. Dieser Bildungs- und Informationsauftrag ist mittels eines ausgewogenen Angebots an Bild, Text, Video und den originalen Exponaten in der Ausstellung durchaus gelungen. Um die Ausstellungsinhalte vertiefen zu können, führen sechs QR-Codes am Ende der Einführungstafel auf Onlineportale von Institutionen, die sich für die Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern engagieren: Das Onlineportal des Französischen Zolls, die Datenbank der vom Internationalen Museumsrat (ICOM) veröffentlichten Roten Liste (Abb. 6), die Webseiten der Weltzollorganisation, der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL), der Mission archéologique française en Libye, der OCBC und der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO).[4]

Abb. 6: Rote Listen der gefährdeten Kulturgüter, Screenshot, https://icom.museum/en/resources/red-lists/

Globale Antworten auf ein globales Phänomen

Am Beispiel der Ausstellung wird deutlich, dass der Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern nur mittels einer internationalen und interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Kooperationspartner*innen gelingen kann.

Einbezogen sind dabei die Justiz, die durch Reglementierungen eine gesetzliche Grundlage des Kulturgutschutzes festlegt und deren Verstöße sanktioniert, Einsatzkräfte der Polizei und des Zolls, nicht-staatliche Organisationen wie UNESCO und ICOM, die nationalen Ministerien für Kultur und öffentliche Beziehungen und die wissenschaftliche Gemeinschaft. In diesem globalen Netzwerk spielen auch Museen eine tragende Rolle. Zum einen können sie selbst von Raubaktionen und Zerstörungen betroffen sein und bei Sammlungserwerbungen in verdächtige Provenienzfälle involviert sein. Zum anderen können sie aber mit ihrer Expertise bei Ermittlungen mithelfen und mittels Bildung- und Vermittlungsarbeit das breite Publikum über die die zum Schaden des Weltkulturerbes verursachten Gräueltaten, informieren und sensibilisieren.

Als Priorität für einen erfolgreichen Kampf gegen den illegalen Handel von Kulturgütern stellte sich die Bewusstseinsbildung über das Thema heraus. Dabei stellt sich die Frage nach der geeigneten musealen Präsentation und Vermittlung von komplexen Provenienzgeschichten, die mit Raubgut und Restitutionsfällen zu tun haben. Für die im kommenden Jahr geplante Ausstellung in der Liebermann-Villa, in der über die Ergebnisse unseres aktuellen Forschungsprojekts zur Provenienzforschung berichtet werden soll, lieferte diese Seminarerfahrung in Paris einige hilfreiche Ideen- und Denkanstöße hinsichtlich der Ausstellungsgestaltung und Vermittlungsstrategie.

Alice Cazzola, Mitarbeiterin des Projekts „Provenienzforschung im Bestand der Liebermann-Villa am Wannsee“


[1] Die ab dem 19. Jh. allmähliche Einführung von Denkmalschutzgesetzen bindet Grabungen und die Ausfuhr archäologischer Funde an offizielle Genehmigungen, sodass Objekte ohne entsprechende Provenienznachweise höchstwahrscheinlich illegal gehandelt wurden.

[2] Musée du Louvre, Saal 172, Flügel Denon, Ebene 1(19.05–13.12.2021). Ludovic Laugier (Musée du Louvre) und Vincent Michel (Université de Poitiers, Mission archéologique françaises de Libye) konzipierten die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Service des musées de France, der Direction générale des Douanes und des Office centrale de lutte contre le trafic de biens culturels. Für einen Eindruck der Ausstellung vgl. https://www.youtube.com/watch?v=hcKKgBxg5nc [Abruf: 30.09.2021].

[3] Code du patrimoine, Artikel L. 111-10, vgl. https://www.legifrance.gouv.fr/codes/article_lc/LEGIARTI000032857165 [Abruf: 30.09.2021]

[4] Französischer Zoll: https://www.douane.gouv.fr/actualites/le-musee-du-louvre-expose-des-tresors-culturels-saisis-par-la-douane; ICOM. https://icom.museum/en/resources/red-lists/; Weltzollorganisation: http://www.wcoomd.org/fr/topics/enforcement-and-compliance/activities-and-programmes/cultural-heritage-programme.aspx; INTERPOL: https://www.interpol.int/en/Crimes/Cultural-heritage-crime/How-we-fight-cultural-heritage-crime; der Mission archéologique française en Libye: https://libyeantique.hypotheses.org/, OCBC: https://www.police-nationale.interieur.gouv.fr/Organisation/Direction-Centrale-de-la-Police-Judiciaire/Lutte-contre-la-criminalite-organisee/Office-central-de-lutte-contre-le-trafic-de-biens-culturels; UNSECO: https://en.unesco.org/fighttrafficking [Abruf: 30.09.2021].