Margarete Heymann-Loebenstein (1899-1990), von Elizabeth Otto

Please find the English version below.

Von Elizabeth Otto, aus: Schierz, Kai Uwe, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. 4 „Bauhausmädels“ : Gertrud Arndt, Marianne Brandt, Margarete Heymann, Margaretha Reichardt / Angermuseum Erfurt ; Herausgegeben von Kai Uwe Schierz, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. Dresden: Sandstein Verlag, 2019.

Mutig, stilvoll, fortschrittlich und trotz turbulenter Umstände sehr erfolgreich: So lassen sich Heymann-Loebenstein und ihre eingetragene Fabrikmarke Haël während der Weimarer Republik treffend beschreiben (Abb.1). Obwohl sie das Bauhaus unter ungünstigen Bedingungen verließ, ist sie eine seiner ersten Erfolgsgeschichten: Nämlich eine ehemalige Studentin, die über ein von ihr mitbegründetes Unternehmen, die Haël-Werkstätten für Künstlerische Keramik G.m.b.H., modernes Design auf nationalen und internationalen Märkten etablierte. Aber wie beim Bauhaus und vielen seiner Angehörigen bedeutete der Aufstieg des NS-Regimes 1933 das abrupte Ende ihrer Ambitionen. Weibliche oder jüdische Bauhausmitglieder wurden besonders bedroht, und Heymann war beides. Sie würde dem Nazi-Schrecken zwar mit ihrem Leben entkommen, aber weder künstlerisch noch beruflich jemals wieder das Niveau ihrer Arbeiten aus der Weimarer Republik erreichen. Es ist heute klar, dass Margarete Heymann sehr wütend war, als sie das Bauhaus verließ, und Dokumente belegen, dass ihre Gefühle berechtigt waren. Heymann war eine entschlossene, kreative junge Frau, die in ihrer Berufung – modernes Keramikdesign – aufging, doch die von zwei dickköpfigen, älteren Männern in ihrem Vorhaben blockiert wurde. Max Krehan und Gerhard Marks, der künstlerische Leiter der Werkstatt, hatten sich gemeinsam entschieden, Frauen aus ihrer Werkstatt auszuschließen.

Werbeanzeige: “Wählen Sie künstlerische Keramik / Verlangen Sie Haël”, in: Haus, Hof, Garten, 16. November 1929, S. 580.

Kanne aus einem Teeservice und Kanne aus einem Mokkaservice, beide um 1928, © Dirk Urban

Doch zum Glück ließ sich Heymann nicht leicht abschrecken. Solchermaßen am Bauhaus ausgebremst setzte Heymann 1922 ihre Ausbildung als künstlerische Mitarbeiterin in der damals angesagten Keramikfirma Velten-Vordamm in Velten fort, einer Stadt nordwestlich von Berlin. 1923 heiratete Heymann den Ökonomen Gustav Loebenstein. Gemeinsam mit seinem Bruder Daniel Loebenstein erwarben sie eine stillgelegte Keramikfabrik in Marwitz, einem Nachbardorf von Velten, und gründeten die Firma Haël. Mit Haël zog das Bauhaus in die Haushalte der Verbraucher in ganz Deutschland ein – und sogar darüber hinaus. Über ein Jahrzehnt lang war Margarete Heymann-Loebenstein die bestimmende Figur des Unternehmens, selbst wenn große Herausforderungen anstanden. Zunächst widmete sie sich ausschließlich dem Design, ab 1928 übernahm sie zusätzlich die Leitung des gesamten Unternehmens. Haël-Produkte wurden in die ganze Welt exportiert, und das Unternehmen war zu einem wichtigen lokalen Arbeitgeber mit teilweise bis zu hundert Mitarbeitern geworden. Doch gerade als sich der Erfolg anscheinend stabilisiert hatte, kamen die Loebenstein-Brüder bei einem Autounfall ums Leben, als sie 1928 zur Grassi Verkaufsmesse nach Leipzig fuhren. Im folgenden Jahr trafen der Börsenkrach und die damit verbundene Weltwirtschaftskrise Deutschland besonders hart, aber Heymann-Loebenstein, die Haël alleine weiterführte, hielt ihr Geschäft aufrecht und entwickelte weiter neue Produkte. Auch unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 schien die Firma Haël noch auf soliden Beinen zu stehen.

Keksdose mit Deckel, zwischen 1923 und 1933, © Dirk Urban

Im Juli 1933 wandten sich die Dinge klar zum Schlechteren, als zwei verärgerte Haël-Mitarbeiter Heymann-Loebenstein den NS-Behörden wegen „Verächtlichmachung und Herabsetzung der Deutschen Staatsautorität“ anschwärzten. Heymann-Loebenstein erkannte die Gefahr, in der sie sich befand, schloss die Fabrik und ging auf die dänische Insel Bornholm, wo sie bis September 1934 blieb. Ende April 1934 verkaufte Heymann-Loebenstein die Haël-Fabrikgebäude einschließlich der Öfen, Keramikformen und der kompletten Kundenliste für 45 000 Reichsmark an einen Dr. Heinrich Schild, Ökonom und einflussreiches Mitglied der NSDAP. Der Preis war so niedrig, dass Heymann-Loebenstein später zweimal entschädigt wurde – als offizielles Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und für den Zwangsverkauf ihres Unternehmens. Mit Unterstützung von Schild wurde am 1. Mai eine weitere junge Keramikerin, Hedwig Bollhagen, die Designchefin der Firma, die heute HB heißt.

Das Dekor dieser Kanne stammt von Hedwig Bollhagen, ihre Form jedoch ist kopiert von Heymann-Loebensteins „Norma“-Serie. Übrigens: Diese Kanne wird heute weiterhin verkauft. © Dirk Urban

Obwohl sie ihr Unternehmen Haël an die Nazis verloren hatte, blieb Heymann-Loebenstein selbst bis 1936 noch überwiegend in Berlin.  Sie verließ die Stadt schließlich mit dreißig Kisten, die nach einer Familienüberlieferung 250 Gemälde und 250 Keramiken enthielten. Sie reiste zunächst nach Amsterdam, wo ihre Schwester Gertrud (Trude) Heymann lebte, und wanderte noch im selben Jahr nach Großbritannien aus. In London waren für Heymann-Loebenstein ihre Kontakte zu Haëls internationaler Kundschaft unerlässlich, insbesondere zu Harry Trethowan, dem Leiter der Keramik und Glasabteilung des Möbelhauses Heal & Sons. Am 3. Juni 1936 schickte er ihr eine handschriftliche Notiz, die sie Gordon Forsyth, dem künstlerischen Leiter von Stoke-on-Trent Potteries, überreichen sollte. Heymann-Loebenstein fand aufgrund ihrer Geschäftskontakte schnell Arbeit als Designerin für britische Firmen und versuchte sogar, einige ihrer Haël-Designs nachzubilden. Sie heiratete 1938 einen Briten, Harold Marks, und wurde fortan unter dem Namen Grete Marks bekannt. Sie gründete ihre eigene Töpferei „Greta Pottery“ mit einigen Mitarbeitern und einem eigenen Markenzeichen (Kat. Nr. 3.55). Aber als deutsche Staatsbürgerin war sie mit dem Ausbruch des Krieges 1939 gezwungen, ihr Geschäft zu schließen. Nach dem Krieg unternahm Grete Marks keinen weiteren Versuch, ein Keramikunternehmen zu gründen; aber sie malte und fertigte weiterhin künstlerische Keramik und Einzelstücke.

Während ihrer Anfänge als entschlossene junge Studierende am Bauhaus musste Heymann-Loebenstein-Marks die Rückschläge überwinden, die ihr die unerbittliche patriarchalische Tendenz dieser Schule bescherte, und fand dadurch den Ausdruck für ihre gestalterische Brillanz. Einen Platz in der Designgeschichte sicherten ihr die originellen Haël-Produkte mit ihren leuchtenden Farben und expressiven Dekoren. Sie boten den Menschen nicht nur eine Möglichkeit, die Moderne in ihr Zuhause zu bringen – sondern auch den nötigen Spielraum, Produkte nach ihren eigenen Vorlieben und ihrem individuellen Lebensstil auszuwählen und zu erwerben: „Wähle handgemachte Keramik. Verlange Haël.“ Das Jahrzehnt, in dem sie Haël verantwortete, markierte bereits früh den Höhepunkt der Karriere von Heymann-Loebenstein; als Exilantin in Großbritannien würde sie nie wieder vollständig Fuß fassen. Der Nationalsozialismus hatte furchtbare Konsequenzen auf nationaler und internationaler Ebene – aber für jeden Einzelnen, dessen Leben davon beeinflusst wurde, besaßen die Katastrophen eine spezifisch persönliche Dimension. Im Falle von Heymann-Loebenstein-Marks erstickte das faschistische System die beachtlichen Erfolge, die sie trotz aller Schwierigkeiten mit ihren Haël-Produkten erzielt hatte.

English

Margarete Heymann-Loebenstein 1899-1990, written by Elizabeth Otto

This text is extracted from: Schierz, Kai Uwe, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. 4 “Bauhausmädels” : Gertrud Arndt, Marianne Brandt, Margarete Heymann, Margaretha Reichardt / Angermuseum Erfurt ; Herausgegeben von Kai Uwe Schierz, Patrick Rössler, Miriam Krautwurst, Elizabeth Otto. Dresden: Sandstein Verlag, 2019.

Bold, stylish, modern, and highly successful despite tumultuous circumstances, these are apt descriptions of both Heymann-Loebenstein and her Haël brand of ceramics during the Weimar Republic. Although she left the Bauhaus on poor terms, she is one of its earliest success stories, a former student who brought modern design to national and international markets through a company she co-founded together with her husband, the Haël-Werkstätten für Künstlerische Keramik G.m.b.H. (The Workshop for Artistic Haël Ceramics Corporation). But, as was the case for the Bauhaus and many of its members, the rise of Germany’s Nazi party in 1933 spelled an end to her success. Former Bauhaus members who were female or of Jewish heritage were particularly vulnerable, and Heymann was both. She would escape with her life, but she would never fully recover the same level of artistic or professional success as she had during the period of the Weimar Republic.

It is clear that Margarete Heymann left the Bauhaus in anger, and documents inform us that her feelings were justified. Heymann was a determined, creative young woman who had discovered her calling— modern ceramic design—only to be blocked by two, stodgy, older men. Max Krehan and Gerhard Marks, the workshop’s artistic director (künstlerischer Leiter), had together decided categorically to bar women from their workshop.

Luckily, Heymann was not easily deterred. She successfully continued her training in 1922 by becoming an artistic assistant (künstlerische Mitarbeiterin) at the chic Velten-Vordamm Ceramics in Velten, a town northwest of Berlin. In 1923, Heymann married the economist Gustav Loebenstein. Together with his brother Daniel Loebenstein, they acquired an abandoned ceramics factory in Marwitz, a village neighboring Velten, and founded the Haël company. Haël brought Bauhaus into the homes of consumers throughout Germany and beyond. For more than a decade, even in the face of considerable challenges, Margarete Heymann-Loebenstein would be the company’s defining figure. Initially she devoted herself entirely to design; starting in 1928, she became head of the entire company. Haël products were being exported around the world, and the company had become an important local employer, with perhaps as many as one hundred employees. However, just as it seemed stability and success were achieved, tragically, in 1928, both Loebenstein brothers were killed in a car crash as they drove to the Grassi sales exhibition in Leipzig. In the following year, 1929, the stock market crash and ensuing Great Depression hit Germany particularly hard, but Heymann-Loebenstein, now leading Haël on her own, maintained the business and continued to develop new products. Even in the period immediately following the Nazi assumption of power in January 1933, the Haël firm appears to still have been on a solid footing.

In July 1933, things took a distinct turn for the worse when two disgruntled Haël employees reported Heymann-Loebenstein to the National-Socialist authorities on charges of “contempt and dismissal of the German state authority.” Appreciating the danger she was in, Heymann Loebenstein closed the factory and left for the Danish island of Bornholm, where she remained until September 1934, likely staying with friends. At the end of April 1934, Heymann-Loebenstein sold Haël’s buildings, ovens, ceramic molds, and complete list of clients for 45,000 Reichsmarks, to a Dr. Heinrich Schild, an economist and influential member of the Nazi party. The price was so low that Heymann-Loebenstein was later compensated twice — as an official victim of Nazi persecution and for the forced sale of her business. Backed by Schild’s financing, on the first of May another young, female ceramicist, Hedwig Bollhagen, became head of design for the firm, now named HB.

While she had lost Haël, Heymann-Loebenstein herself remained mostly in Berlin. Finally, in 1936, she left with thirty crates; according to family lore, these contained 250 paintings and 250 ceramics. She first traveled to Amsterdam where her sister Gertrud (Trude) Heymann was living, and that same year, still in 1936, emigrated to Great Britain. In London, Heymann-Loebenstein’s contacts among Haël’s international clientele would prove essential, particularly Harry Trethowan, the manager of the pottery and glass department of the furniture store Heal & Sons. On June 3, 1936, he sent her a handwritten note to present to Gordon Forsyth, the artistic head of Stoke-on-Trent Potteries. Heymann-Loebenstein quickly found work designing for British firms through her business contacts and even attempted to recreate some of her Haël designs. She married a British man, Harold Marks, in 1938, and was henceforth known as Grete Marks. She founded her own company “Greta Pottery” with a few employees and its own logo symbol. But with the war’s outbreak in 1939, as she remained a German citizen, she was forced to close the business. After the war, Grete Marks forewent another attempt to create a ceramics business. But she continued to paint and make studio pottery and individual pieces.

From her beginnings as a determined young ceramicist at the Bauhaus, Heymann- LoebensteinMarks was able to surmount the setbacks imposed on her by that school’s implacably patriarchal bias to express her brilliance and secure a place for herself in the history of modern design. Haël, with its bright colors and original, modern designs, provided members of the public with the means to bring modernity into their homes, and the latitude to select and choose according to their preference as they imagined their own individual modern lifestyles. “Choose handmade ceramics. Demand Haël.” The decade of Haël’s existence was the highpoint of Heymann-Loebenstein’s career; as an exile in the UK, she would never again fully find her footing. National Socialism was a catastrophe on a national and international level, but for each individual caught up in its gears, the catastrophes were specific and personal. For Heymann-Loebenstein-Marks, the rise of Nazism put an end to the astonishing successes that, despite adversity, she had achieved with Haël.