Seit einigen Wochen ist ein neues Selbstporträt Max Liebermanns bei uns in der Villa am Wannsee zu bewundern. Das großformatige Gemälde Selbstbildnis, stehend in Dreiviertelfigur, beide Hände in den Hosentaschen aus dem Jahr 1915 kommt als Dauerleihgabe aus der Nationalgalerie Berlin zu uns. Das Bild war fast 100 Jahre in Privatbesitz bevor es 2014 dem Museum geschenkt wurde – von den Freunden der Nationalgalerie. Jetzt ist es hier in der Liebermann-Villa im Atelier des Künstlers zu sehen.
Das Selbstbildnis malte Liebermann 1915 mit Öl auf Karton. Es zeigt den Künstler, einen dunklen Anzug tragend, in einer lässigen Dandy-Pose. Der 68-jährige zeigt sich als Mann von Welt: distinguiert, vornehm gekleidet und sich seiner gehobenen Stellung bewusst. Staffelei, Palette und Pinsel fehlen, wodurch ein Hinweis auf seine künstlerische Tätigkeit fehlt.
Das Bild ist maßvoll in Weiß-, Schwarz- und Brauntönen gehalten. Die kurzen, trockenen Pinselstriche auf unbehandeltem Malgrund zeigen die ganze Könnerschaft des Künstlers. Der dunkle Anzug ist nur summarisch in breiten Strichen angedeutet. Auch der neutrale Hintergrund – oft kennzeichnend für die Porträtkunst Liebermanns – bieten keine Hinweise auf die räumliche Situation. Nur kleine Details, wie die mit wenigen Strichen angedeutete Krawattennadel in leuchtendem Gelborange, bilden farbliche Akzente, welche der Darstellung Leben einhauchen.
Da die Hände in den Hosentaschen versteckt sind, wird die gesamte Aufmerksamkeit auf das Gesicht des Malers und somit dessen Persönlichkeit gelenkt. Liebermann erwidert mit kritisch prüfender Miene und hochgezogener Augenbraue den Blick des Betrachtenden. Eine derartige Körpersprache schafft Distanz zwischen Liebermann und seinem Gegenüber. Die privat anmutende Haltung jedoch wirkt wie die spontane Momentaufnahme einer Fotografie. Als bekannter Künstler und Präsident der Akademie wurde Liebermann häufig von Pressefotografen besucht,. Insbesondere in den zwanziger Jahren entstanden so zahlreiche Porträtaufnahmen, mit denen sich Liebermanns Selbstporträts zu messen hatten. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, weshalb er sich in beiden ganz ähnlich inszenierte. Somit präsentiert sich der Künstler in diesem Selbstbildnis leger aber selbstbewusst.
Liebermann hat während seiner Karriere um die siebzig Selbstporträts gemalt – damit nehmen diese einen durchaus beachtlichen Teil seines Gesamtwerks ein. Damit fing er vergleichsweise spät an: Mit der Ausnahme eines Brustbildes als Gymnasiast 1866 und eines 1873 entstandenen Küchenstilllebens, in dem Liebermann als lachender Koch zu sehen ist, gibt es von ihm keinerlei Selbstporträts aus jüngeren Jahren. Liebermanns erstes gültiges Selbstbildnis malte er erst im Winter 1902/3, im Alter von 55 Jahren, zur selben Zeit, als er auch mit dem Malen von Porträts anderer Persönlichkeiten begann und die Bedeutung seiner Malerei allgemein anerkannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Liebermann bereits ein erfolgreicher und etablierter Künstler, Präsident der Berliner Secession und Mitglied der Akademie der Künste.
Doch auch dieses erste Selbstporträt aus dem Jahr 1902 entstand nur auf Bitte der Direktion der Uffizien in Florenz hin, welche den Wunsch äußerte, „sein Bildnis der berühmten Sammlung von Selbstbildnissen einzureihen“, wie sein Biograf Erich Hancke berichtet. Das daraufhin entstandene Werk weist einige Gemeinsamkeiten mit dem 1915 gemalten Porträt auf: es zeigt Liebermann im Dreiviertelprofil mit einem düsteren Gesichtsausdruck und im dunklen Anzug – diesmal aber auf einem Stuhl sitzend und Zigarette rauchend. „Dieses neue Porträt musste zunächst überraschen, denn statt beweglich, geistes- und lebenssprühend, wie man den Künstler in der Vorstellung hat, zeigt es ihn ernst, beinahe angespannt dreinschauend“, bemerkt Hancke. Wohl auch aus diesem Grund bestimmte Liebermann später ein anderes Selbstbildnis (Selbstbildnis an der Staffelei nach rechts, 1908), diesmal mit Staffelei und Malwerkzeug, für die Uffizien.
Ab 1910 kehrte Liebermann immer wieder zum Thema des Selbstporträts zurück, insbesonders in den Jahren 1911 bis 1916. Die meisten Bilder aus diesem Zeitraum zeigen den Künstler „bei der Arbeit“. Ab 1918 dagegen rückten die Bildnisse ohne Pinsel oder Staffelei in den Vordergrund. In dieser Hinsicht ist das 1915 Bild Selbstbildnis, stehend in Dreiviertelfigur, beide Hände in den Hosentaschen außergewöhnlich: ein frühes Beispiel für seine späteren, vielleicht selbstbewussteren Selbstdarstellungen.
Autorin: Isabella Seegers / Dr. Lucy Watling
Isabella Seegers studiert Kunstgeschichte und hat ein Praktikum in der Liebermann-Villa absolviert. Dr. Lucy Watling ist wissenschaftliche Volontärin der Liebermann-Villa.