Betrachtet man die Ankäufe für unsere Sammlung, so ist das Jahr 2015 ein regelrechtes Martha-Jahr gewesen: Insgesamt drei Liebermann-Zeichnungen mit Darstellungen der Ehefrau des Künstlers konnten wir in diesem Jahr für die Sammlung der Liebermann-Villa erwerben. Zum zwanzigjährigen Jubiläum der Max-Liebermann-Gesellschaft finanzierte die Weberbank im Mai 2015 die Kreide-Zeichnung „Martha Liebermann mit ihrer Tochter Käthe“. Im Dezember gelang es uns, mit einer Spendenaktion unter den Mitgliedern unserer Gesellschaft das Blatt „Die Frau des Künstlers beim Lesen“ für die Liebermann-Villa zu sichern. Und ebenfalls im Dezember erklärte sich, durch die Spendenaktion angeregt, die Berliner Sparkasse bereit, die Mittel für eine weitere Martha-Zeichnung zur Verfügung zu stellen, für die Tuschzeichnung „Lesende (Martha Liebermann)“. Die drei Arbeiten ergänzen in hervorragender Weise unsere bisherigen Ankäufe, vor allem das mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung angekaufte Gemälde „Großmutter und Enkelin“, das seit 2008 ein fester Bestandteil unserer Dauerausstellung ist.
Wie viele Künstler, so hat auch Liebermann seine Ehefrau immer wieder gezeichnet. „Die Skizzenbuchblätter, auf denen er seine Frau und sein Kind gezeichnet hat“, schreibt sein Biograph Erich Hancke, „sind nicht zu zählen. Im Zimmer, draußen im Freien, auf der Reise, an der See […], es ist ein unaufhörliches, auf Schritt und Tritt folgendes, nimmer müdes Sich-mit-ihnen-beschäftigen.“ Auffällig bei all diesen Zeichnungen ist, dass ihm seine Frau fast nie Modell gesessen hat. Er zeichnete sie stets beiläufig, im Sessel sitzend, in einem Buch lesend oder schlafend und stellt sie so auch in seinen Gemälden dar. Angesichts dieser Bildnisse beklagte sich Martha einmal, dass „[…] wenn man sie dermaleinst nach den Zeichnungen ihres Mannes beurteilen wolle, so müsse man sie für eine reizlose und hinfällige Person halten.“
Immer wieder stellte Liebermann seine Frau als ruhenden Pol der Familie dar, als gebildete, an Literatur interessierte Person. Damit entwarf der Künstler ein Martha-Bild, das seiner Vorstellung von der Rolle der Frau in der Gesellschaft entsprach. „Die Frau ist“, bemerkte Liebermann, „nicht für den Lebenskampf da; sie soll Geistiges und Künstlerisches in sich aufnehmen, sie soll sich pflegen und sich schmücken und ein freundlich beglückendes Wesen, eine Augenweide sein.
Wie die Zeichnung „Die Frau des Künstlers beim Lesen“ gehörten die meisten Martha-Bildnisse zur privaten Sammlung des Künstlers. Sie hingen in den Räumen des Hauses am Pariser Platz 7 oder lagerten sicher verwahrt in Mappen bis zu seinem Tod. Viele sind danach auf unbekannte Weise verschwunden. Entweder waren Not und Verfolgung der Witwe, die nach 1935 einsam in der Graf-Spee-Straße wohnte, so groß, dass sie sich sogar von diesen persönlichen Arbeiten trennte, oder sie sind nach ihrem tragischen Selbstmord 1943 durch Beschlagnahmung und Verwertung in den Verkauf gekommen. Daher ist es besonders schön, dass im Jahr 2015 drei dieser Arbeiten in das Haus des Malers zurückgekehrt sind und in der Sammlung der Liebermann-Villa einen erkennbaren Sammlungsschwerpunkt darstellen.
Autor: Dr. Martin Faass
Dr. Martin Faass ist Direktor der Liebermann-Villa am Wannsee