Provenienzforschung und die Liebermann-Villa

Heute ist der zweite internationale Tag der Provenienzforschung – ein vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. initiierter Thementag mit dem Ziel, die Provenienzforschung einem breiteren Publikum bekannt zu machen.
In diesem Blog berichtet die Direktorin der Liebermann-Villa, Dr. Lucy Wasensteiner, über Provenienzforschung und die Liebermann-Villa – warum es sowohl für Liebermann-Experten als auch für ein Liebermann-Museum ein wichtiges Thema ist.

Max Liebermann, Zwei Reiter am Strand nach Links (1901). Privatbesitz.

Viele werden dieses Bild kennen: Max Liebermanns Zwei Reiter am Strand nach Links aus dem Jahr 1901. Das Bild tauchte 2012 im sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ auf. Es ist eins der markantesten Kunstwerke unter den mehreren hunderten, die in der Wohnung Cornelius Gurlitt in München aufgefunden wurden. Nach seinem ersten Verkauf 1905 – vermutlich bei Cassirer in Berlin – gehörte dieses Bild über 30 Jahre lang dem jüdischen Geschäftsmann und Kunstsammler David Friedmann aus Breslau. Nach dem Tod Friedmanns 1942 ging seine Kunstsammlung verloren. Im gleichen Jahr landete das Bild bei Hildebrand Gurlitt (dem Vater von Cornelius Gurlitt), der als Kunsthändler zahlreiche Geschäfte mit und im Auftrag der NS-Regierung machte. 2014 wurde das Gemälde an den Erben Friedmanns restituiert und ein Jahr später bei Sotheby‘s in London versteigert, wo es einen Preis von über 2 Millionen Euro erzielte.

In diesen berühmten Provenienzforschungs- und Restitutionsfällen sind Liebermann-Bilder sehr oft präsent. Zu seinen Lebzeiten – und ins besonders in der Zeit ab 1900 – war Liebermann einfach ein sehr beliebter und sehr breit-gesammelter Künstler. Unter den Mitgliedern des deutschen Großbürgertums war ein Liebermann-Bild zu Hause ein „Muss“ – vielleicht ein Porträt von der Hand des Meisters, ein Gartenbild oder einer der berühmten Reiter am Strand. Unter diesen Sammlern waren viele Menschen, die in den Jahren ab 1933 von der Nazi-Regierung verfolgt worden waren – wegen ihres jüdischen Glaubens oder weil sie vielleicht politisch gegen das Regime agiert hatten. Aus diesem Grund ist Provenienzforschung für Liebermann-Kenner ein sehr wichtiges Thema. Seine Bilder nehmen Provenienzforscher und -forscherinnen oft unter die Lupe.

Ein zweiter Grund, warum Provenienzforschung für unser Haus relevant ist, ist dass Liebermann selbst eine beachtliche Kunstsammlung besaß, die auch in den Jahren nach 1933 weitgehend verloren gegangen ist. Die Provenienzgeschichte der Liebermann-Sammlung ist mit der Geschichte der Familie Liebermann eng verbunden.

Die Provenienzgeschichte der Privatsammlung Liebermann war 2013 das Thema einer Ausstellung in der Liebermann-Villa. In dem ausstellungsbegleitenden Katalog wurde die verlorene Sammlung rekonstruiert und abgebildet.

Liebermann, geboren 1847 in Berlin, gehörte einer wohlhabenden Familie an. Dazu war er als Künstler finanziell sehr erfolgreich. Die Einnahmen seiner künstlerischen Tätigkeiten haben zum Beispiel die Villa am Wannsee finanziert – eine Tatsache, auf die Liebermann sehr stolz war. Und wie ein typisches Mitglied des Berliner Großbürgertums hat Liebermann auch eine private Kunstsammlung aufgebaut, mit Werken unter anderen von Eduard Manet, Vincent van Gogh, Paul Cézanne und Edgar Degas. Die Sammlung hing sowohl in der Residenz am Pariser Platz als auch in der Villa am Wannsee und war über Berlins Grenzen hinaus sehr bekannt.

Nach 1933 ging der Großteil dieser Sammlung anhand der Maßnahmen der NS-Regierung verloren. Aufgrund der zunehmenden Verfolgungsmaßnahmen, die Martha Liebermann nach dem Tod ihres Mannes durchstehen musste, war sie aus finanzieller Not gezwungen, einige Werke zu verkaufen. Weitere Objekte wurden nach ihrem Selbstmord 1943 von den Nazi-Behörden beschlagnahmt. Dieses Schicksal teilten nicht nur die Werke von Künstlern wie Manet oder Cézanne, sondern auch die zahlreichen Werke von Liebermann selbst, die sich nach dem Tod des Künstlers 1935 noch in Familienbesitz befanden: Werke, an denen der Künstler noch arbeitete sowie Werke, die er einfach behalten hat – darunter zahlreiche Bildnisse seiner Frau Martha, seiner Tochter Käthe und seiner Enkelin Maria.

Nachdem Max Liebermann 1935 gestorben war, hat Martha Liebermann alle nicht signierten Werke ihres Mannes, die noch im Familienbesitz waren, mit dem sogenannten Nachlassstempel versehen. Mit diesem Stempel haben wir heute einen Hinweis, dass das Bild ein möglicher Restitutionsfall ist und dass seine Provenienz auf jeden Fall untersucht werden soll.

Max Liebermann, Die Frau des Künstlers beim Lesen, 1885. Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V. Unten links sieht man den Nachlassstempel.

So ein Bild haben wir in der Dauersammlung der Liebermann-Villa. Seit seiner Gründung 1995 hat unser Trägerverein, die Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., eine kleine Kunstsammlung aufbauen können – mit Fokus auf den Wannseebildern sowie Darstellungen von Liebermann und seiner Familie.

Die oben abgebildete Zeichnung seiner Frau Martha hat Liebermann 1885 angefertigt – ein Jahr nach ihrer Hochzeit. Das Blatt behält Liebermann 50 Jahre lang – bis zu seinem Tod 1935. Versehen mit dem Nachlassstempel verschwand das Blatt kurz danach auf dem Markt. Erst 2014 gab es eine Einigung zwischen den damaligen Besitzern und den Erben der Familie Liebermann. 2015 konnte die Max-Liebermann-Gesellschaft das Blatt kaufen, dank einer Spendenaktion unter unseren Mitgliedern.

Provenienzforschung ist also ein Thema, dass für uns als Liebermann-Haus von zentraler Bedeutung ist: sowohl für unsere Recherchen über die Liebermann und seine Familie als auch für den Aufbau unserer Sammlung. Es ist auch ein Thema, dass wir zunehmend in unsere Ausstellungen und zukünftigen Forschungsprojekte einbauen möchten. In den nächsten Jahren ist eine systematische Überprüfung der hauseigenen Sammlung geplant. Gleichzeitig sollen Fragen der Herkunft in die Ausstellungspräsentationen eingebaut werden – auch für Bilder, wo Raub und Restitution gar nicht in Frage kommen. Provenienzforschung bietet also viele neue Herangehensweisen für die Museumsarbeit. Ich freue mich darauf, die Ergebnisse dieser Arbeit mit Ihnen teilen zu können!


Autorin: Dr. Lucy Wasensteiner, Direktorin der Liebermann-Villa

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